Roboter versus Human? – Automatisierung in der Erntetechnik

Roboter versus Human? – Automatisierung in der Erntetechnik

Personalknappheit und steigende Arbeitskosten sind zwei der größten Probleme, mit denen sich Produzenten im Kulturpilzanbau zurzeit beschäftigen (müssen). Auf seiner 75. Jahrestagung Ende September in Heilbronn nahm der BDC daher die Erntetechnik in den Fokus. Vier internationale Unternehmen präsentierten ihre Ansätze zur Automatisierung und stellten sich anschließend den Fragen der Produzenten.

Automatisierung in der Produktion ist erforderlich, um weiterhin wirtschaftlich Kulturpilze – insbesondere Champignons – anbauen zu können. Doch wo macht die Mechanisierung von Arbeitsschritten Sinn und wie praktikabel sind die angebotenen Lösungen? Auf der BDC-Jahrestagung gab es Lösungsansätze von Axis Harvesting (UK-Craigavon), der Christians Group (NL-Horst) und Mycionics (CA-Putnam), GLT Europe (NL-Venlo) sowie TLT Automation (BE-Ingelmunster).

Das Drawer System von Christians Group

Eine „garantiert doppelte Ernteeffizienz“ verspricht das Drawer System der Christians Group, das Roland van Doremaele vorstellte. Bei diesem System ist der Anbau in Pinning- und Ernteräume aufgeteilt. Das Befüllen und Reinigen der Beete erfolgt in den Pinning-Räumen, wo die durchwachsenen Substrate für zwei Wochen unter optimalem und kontrollierten Klima stehen. Anschließend werden die Beete in den Ernteraum gezogen, wo die Ernte stattfindet. Dazu wird eine solide und höhenverstellbare Ernteplattform zwischen den Regalen positioniert. Auf dieser stehen die Pflücker:innen, die mit beiden Händen auf ergonomische Weise das durchlaufende Beet beernten können. Sie legen die Pilze in eine drehende Disk, der Stielschnitt erfolgt automatisch. Eine Weiterentwicklung ist hier die automatisierte Abnahme der Pilze von der Disk mit Greifern. Dies kann laut van Doremaele eine Arbeitskraft einsparen.

Robotergestütztes Erntesystem von Mycionics

Bei der Entwicklung des Drawer Systems war bereits beabsichtigt, einen Roboter integrieren zu können. Einen entsprechenden Roboter hat die Firma Mycionics entwickelt, der erstmalig auf den “Mushroom Days“ im Frühjahr vorgestellt wurde. Der Roboter mit dem Doppelgreifersystem ist in die Christiaens-Ernteplattform des Drawer-Systems integriert. Stefan Glibetic von Mycionics beschrieb das patentierte robotergestützte Erntesystem, das kontinuierlich Pilze in die Endverpackung pflückt und wiegt. Der Produzent programmiert Anforderungen wie gewünschte Pilzgröße, Stiellänge, Qualität oder Erntezeit, der mobile Roboter scannt die Beete, pflückt die gewünschten Pilze, schneidet die Stiele ab und verbringt die Pilze in die Endverpackung, wo sie abgeholt werden können. Die Datenerfassung liefert zusätzlich Einblick in die bestehenden Anbau- und Erntemetriken des Betriebs, die entsprechend genutzt werden können. Nach Auskunft von Glibetic sind durchschnittlich 45 Picks pro Minute möglich. Bei einer 10-jährigen Lebensdauer und der Möglichkeit, 24 Stunden pro Tag zu arbeiten, mache sich das System nach 16 Monaten bereits bezahlt.

Gekippte Regale für ergonomische Ernte von TLT Automation

Einen anderen Weg der Automatisierung hat TLT Mushroom Automation gewählt. Jan-Emiel Tack beschrieb die Entwicklung einer komplett neu gebauten Produktionsstätte, bei der unter anderem die Ergonomie der Pflücker:innen, die Nutzung der Automatisierung außerhalb des Pflückraums, eine höhere Arbeitseffizienz und eine hochpreisige Qualität der Pilze im Vordergrund standen.

Die Aufteilung der Produktionsstätte (sowie der Weg des Substrates) ist klar strukturiert und unterteilt in Füllhalle, Füllraum, Transferhalle, Pflückraum und Sortierungshalle. Im Pflückraum bietet das Kippen der Regale bis 85° eine bessere Ergonomie und eine bessere Übersicht über den Anbau, erklärte Tack. Die Pflückplattform ermögliche Bewegungsfreiheit und eine einfache Bedienung. Das Pflückförderband ist auf der Kommissionierplattform befestigt, selbstreinigend und ebenfalls einfach zu bedienen. Die automatisierte Sortierung hat den Vorteil der niedrigen Arbeitskosten, sie bietet zudem eine einfache Übersicht über die Kommissionierleistung. Es kann aber auch weiterhin manuell sortiert werden. Die Sortiereinheit kann laut Tack Pilze von 15-105 mm erfassen, mit einer Leistung bis zu 70 Picks pro Minute. Die Qualitätsprüfung erfolgt nach den Kriterien Größe, Rundheit und Weißegrad. Bis zu 12 Sortierungen sind laut Tack möglich, auch verschiedene Schalengrößen gleichzeitig sowie Kisten von 40 x 30 cm.

Komplettes System mit Ernteförderer und MPU von Axis Harvesting

Alan Doake von Axis Harvesting beschrieb die Entwicklung und die Vorteile des Axis-Erntesystems. Dieses wurde in einem Testprojekt von Highline Mushrooms sowie im kanadischen Crossfield-Projekt eingesetzt. Nach ersten Installationen in Europa, ist es auch aktuell im Betrieb der Marco Deckers KG in Geldern installiert, mit vier Ernteförderern und zwei Mobilen Verarbeitungsanlagen (MPU).

Das komplette System umfasst einen Ernteförderer und ein Hebesystem. Die Champignons werden vom Beet in die Schale transportiert, die Stiele abgeschnitten und mit einem Vakuum entsorgt. Die Pilze werden nach Größe sortiert, die Schalen oder Kisten gewogen, die Haltefinger an Ort und Stelle gewaschen. Die Vorteile des Systems sind laut Doake insbesondere die höhere Erntegeschwindigkeit von 250-400 Prozent sowie ein gesteigerter Ertrag von rund 7-10 Prozent. Zwei Pflücker:innen an einem Ernteförderer können nach Auskunft von Doake leicht 155 Stück pro Minute verarbeiten, für schnellere Pflücker:innen kann die Geschwindigkeit erhöht oder zusätzliche Pflücker ergänzt werden. Das ganze System ist flexibel: Die MPU lässt sich von Raum zu Raum bewegen, verschiedene Schalentypen und -größen für sechs Sorten verwenden. Das System ist für neue Betriebe und auch sehr gut für die Nachrüstung geeignet.

Im Betrieb Deckes schwankte die Erntegeschwindigkeit zwischen 53 kg/h und 59 kg/h pro Person, ein gleichmäßiger Stielschnitt verbesserte die Pilzqualität.

Verpackungslösungen und Roboterernte von GTL Europe

GTL Europe bietet Verpackungslösungen und Roboterernte und ist mit seinem GTL-Erntesystem auf dem Markt. Jack Lemmen beschrieb das System, bei dem die Ernte ebenfalls über eine mobile Ernteplattform, die an den Regalen entlangfährt, erfolgt. Die Pflücker:innen ernten die Pilze mit beiden Händen, legen sie auf das Band, mit dem sie weitertransportiert werden. Die Ernte mit einem Roboter erfolgt über ein mobiles System, bei dem die Pilze mithilfe eines Saugknopfes geerntet werden. Dieser transportiert den Pilz zu einem Band mit Haltevorrichtung, von dort geht es weiter zur Sortierung. Bei der Ernte mit dem Saugknopf stehen alle Pilze gleichmäßig in der Packung. Mit dem GTL-System können in einer Stunde 90,3 kg geerntet werden, so Lemmen.

Bei der Entwicklung von Verpackungslösungen hat GTL ein System entwickelt, dass die Pilze von unten aus dem Band drückt und in diese dann in die Schalen fallen. Die Schalen werden von Mitarbeitern von Hand zugeführt und nachgelegt. Lemmen empfahl, die Zufuhr nicht zu automatisieren. Dies lohne sich nicht – unter anderem, weil nicht bekannt ist, in welche Richtung die Verpackung gehe, ob beispielsweise Myzel, Pappe, Plastik oder ein anderes Material. Ziel sei, eine Lösung anzubieten, die unterschiedliche Verpackungen und eine Sortierung nach Größe ermöglicht.

Gestiegene Ansprüche durch Automatisierung

Die anschließende Diskussion leiteten Hans Deckers und Dr. Torben Kruse. Dr. Kruse fasste zusammen, dass die Ansprüche an die Betriebsleiter mit der Automatisierung größer werden. Die Arbeitskosten unter anderem in Europa und Nord-Amerika seien jedoch so hoch, dass dies kaum anderes möglich sei. „Alle investieren mehr oder weniger in Automatisierung“, stellte er fest. Grundsätzlich gebe es das Problem, dass die Infrastruktur für Menschen konstruiert wurde und nicht für automatisierte Systeme. Bei der Diskussion zur Automatisierung wurden verschiedene Problematiken diskutiert. Unter anderem mögliche Schwierigkeiten der Systeme, etwa bei den Saugknöpfen mit größeren Pilzen.

Achselzucken auf Seite der Referenten gab es bei der Frage, in wie vielen Jahren alle Pilze von Robotern geerntet werden. Die Mechanisierung im Kulturpilzanbau sei grundsätzlich schwieriger, da Pilze empfindlicher als beispielsweise Kartoffeln sind. Hier gab es einen Appell an die Brutlieferanten, unempfindlichere Sorten zu züchten.

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